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[en] Architektur Galerie Berlin

Ort und Stellung – Ulrich Müller im Interview mit Manuela Hötzl

Ulrich Müller hat 1999 die Architektur Galerie Berlin gegründet und seitdem bereits über 50 Architekten – vorwiegend aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – vorgestellt. In der vielfältigen Berliner Ausstellungsszene versteht sich die Galerie als „Forum für die Auseinandersetzung mit Architektur, jenseits einer konventionellen Ausstellungspraxis“. Bei ihm werden vielmehr Ideen, Entwürfe und Bauten in konzeptionellen Ausstellungen gezeigt, bei denen „atmosphärische Assoziationsräume“ im Vordergrund stehen. Zudem hat Ulrich Müller, selbst studierter Architekt, sich 2010 ein Haus in der Nähe von Berlin geplant und gebaut.

„100 Häuser“ stellte 10 Fragen an den Architekten, Kurator und Bauherrn Ulrich Müller.

1. Wie schwierig ist es als Theoretiker, Kurator, ein Haus zu planen – hat man da nicht schon zu viele Bilder im Kopf?

Diese Vermutung ist vollkommen richtig, man hat tausend Bilder von wunderbaren Projekten im Kopf. Und da ich das große Glück habe, für die Ausstellungen in meiner Galerie mit den Besten der Besten zusammenarbeiten zu dürfen, sind diese Bilder sehr stark und lassen sich eigentlich nicht übertreffen. Sie können einen jedoch nicht nur verleiten, sondern forcieren zugleich auch eine eindeutige eigene Haltung, die dann schließlich auch eine ganz entgegengesetzte sein kann. Schließlich kommt es ja nicht darauf an, etwas zu kopieren, sondern etwas aus den vielen Lösungen herauszufiltern und Anregungen für eigenständige Lösungen zu finden. In jedem Fall bewundere ich die Architekten jedes Mal aufs Neue, wenn sie mir ihre Projekte vorstellen. Gerade der Bau eines Einfamilienhauses ist die höchste Kunst des Entwerfens. Da ich selbst Architekt bin und lange Jahre entworfen und gebaut habe, kann ich sehr gut nachvollziehen, in welchem Spannungsfeld sich die Architekten und ihre Bauherren bewegen.

2. Haben Sie überlegt, einen Architekten zu engagieren?

Als wir das für uns passende Grundstück gefunden hatten, war ich bereits seit fünf Jahren ausschließlich mit der Galerie beschäftigt. Meine ursprüngliche Idee, beide Berufe – also Architekt und Galerist – parallel auszuüben, hat sich leider nicht verwirklichen lassen. Aus diesem Grunde war ich zu diesem Zeitpunkt etwas – wie man so sagt – „aus der Übung“ und habe zunächst darüber nachgedacht, einen Architekten zu engagieren. Außerdem hatte ich tatsächlich die von Ihnen eingangs genannten Bilder im Kopf. Deshalb habe ich zunächst mit Peter Märkli and AFF Architekten gesprochen, die beide sehr aufgeschlossen waren. Am Ende ist es jedoch anders gekommen: Da auf unserem Grundstück ein etwas kompliziertes Baurecht herrschte, musste ich selbst zahlreiche Überlegungen anstellen, wie es überhaupt zu bebauen war. Dieser Prozess hat schließlich eine derartige Eigendynamik gewonnen, dass ich ihn zu Ende geführt und das Haus am Ende selbst entworfen habe.

3. Wie zeitgemäß, in ökologischer Hinsicht, ist es überhaupt, ein Einfamilienhaus zu bauen?

Im Prinzip ist die Bauaufgabe des Einfamilienhauses in globaler Hinsicht eine, die überproportional viel Ressourcen in Anspruch nimmt. Dem Wunsch nach individuellem Ausdruck kann man sich jedoch nicht einfach verschließen – er ist ja schließlich auch eine Errungenschaft unserer demokratischen Einstellungen. Deshalb kann man nicht nur Mehrfamilienhäuser mit möglichst wenig Außenwandfläche verordnen. Umso wichtiger ist es, dass man versucht, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen. Das beginnt bereits beim Entwurf, der die sinnvolle Ausrichtung der Räume festlegt, geht über die Verwendung möglichst umweltverträglicher Materialien und endet bei der Nutzung der technischen Möglichkeiten zur Minimierung des Energieverbrauchs. Hierbei kommt es darauf an, dem Bauherrn zu vermitteln, dass die eventuell dafür entstehenden Mehrkosten immer gut angelegtes Geld sind.

4. Nach der eigenen Erfahrung – was würden Sie anders machen?

Wir hatten das große Glück, viel Zeit für den Entwurf zu haben. Zusätzlich habe ich mich immer wieder mit befreundeten Kollegen ausgetauscht: Sie haben mir von ihren Erfahrungen berichtet und mich vor allem in technischen Punkten beraten. Darüber hinaus haben wir uns viele Beispiele angesehen. Denn trotzdem ich das Haus für meine Frau und mich entworfen habe, gab es doch die „klassische“ Teilung der Interessen: Während meine Frau berechtigterweise akribisch auf die Funktionalität geachtet hat, richtete sich mein Fokus stark auf die ästhetischen Eigenschaften. Das geduldige Abwägen hat am Ende dazu beigetragen, dass wir auch nach fünf Jahren des Bewohnens eigentlich noch sagen können: Es gibt keine Änderungswünsche!

5. Was würden Sie anderen Bauherren, die sich ein Haus bauen wollen, mit auf den Weg geben?

Diese Frage muss man auf mehreren Ebenen betrachten: Zunächst einmal würde ich jedem potenziellen Bauherrn empfehlen, mit einem Architekten zu bauen. Auch wenn die meisten dadurch vermutlich mit Ideen konfrontiert werden, die sie bislang noch nicht kannten, werden sie danach ein Leben lang stolz darauf sein, etwas wirklich Einzigartiges bewohnen zu können. Leider gibt es den Irrglauben bzw. das hartnäckige Gerücht, dass ein Architekt ein Projekt verteuert. Das kann natürlich auch passieren, in der Regel ist jedoch das Gegenteil der Fall: Ein guter Architekt verfügt über einen unschätzbaren Erfahrungsvorsprung und kennt die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen am besten. Darüber hinaus ist es wichtig, sich Zeit für so ein Projekt zu nehmen. Man muss immer daran erinnern, wie viel Zeit man in seinem Zuhause verbringt, und es probehalber mit dem Aufwand bei der Wahl seines Auto oder seiner Kleidung vergleichen – nur um sie nach kurzer Zeit wieder auszutauschen! Last, but not least ist es wie im Leben: Man kann nicht alles haben, und viel Geld hilft auch nicht immer – im Gegenteil: Ich finde die Lösungen am reizvollsten, bei denen mit einem übersichtlichen Budget unkonventionelle Lösungen gefunden wurden.

6. Was ist Ihr (gebautes) Traumhaus?

Aufgrund meines Berufes habe ich wirklich viele wunderbare Beispiele gesehen – Häuser, in denen ich gerne einmal eine Weile leben möchte. Trotzdem kann ich leider nicht mit einer spektakulären Antwort dienen. Ein tolles Appartement in New York City ist genauso das Ergebnis seiner Umstände wie ein umgebautes Bauernhaus auf dem Land, hat also seine beneidenswerten Eigenschaften und auch solche, die man nicht ein ganzes Leben lang um sich haben möchte. Ein „Traumhaus“ würde ich deshalb gerne eher atmosphärisch beschreiben: einfache Materialien, flexibler Grundriss, paritätische Mischung aus solide und experimentell. Jetzt können sich die Leser ihre Gedanken dazu machen …

7. Wie wichtig ist das Einfamilienhaus für die Architekturgeschichte?

Wir alle kennen und schätzen die herausragenden Beispiele der jüngeren Architekturgeschichte: Adolf Loos hat mit seinem „Haus Müller“ den Raumplan zelebriert, Le Corbusier mit der „Villa Savoye“ eine echte Stilikone erschaffen. In Berlin gibt es mit dem „Haus Lemke“ von Mies van der Rohe sein letztes Wohnhaus, das Bescheidenheit und Großzügigkeit in einzigartiger Weise verbindet. Und in den 1990ern waren es die Einfamilienhäuser von Peter Märkli, die eine ganze Generation von Architekten beeinflusst haben und es immer noch tun – weg vom Chic und Hochglanz, hin zu einer archaisch und rural anmutenden Ästhetik. Dass die genannten Projekte – die Liste ließe sich selbstverständlich noch weiter fortführen – ihrer Zeit derart voraus und schließlich stilprägend waren, hat seinen guten Grund: Die Bauaufgabe des Einfamilienhauses lässt sowohl dem Bauherrn als auch dem Architekten eine enorme Freiheit. Im Idealfall spornen sich beide immer wieder neu an, um bestehende Denkmuster zu überwinden. Diese Freiheit können größere Bauaufgaben aufgrund ihrer gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen naturgemäß nicht bieten.

8. Gibt es eine deutsche Baukultur? Und wie könnte man sie beschreiben?

Das ist eine heikle Frage! Wie Sie wissen, beschäftige ich mich seit vielen Jahren besonders mit zeitgenössischer Architektur aus der Schweiz und Österreich. In der Schweiz gibt es – auch aufgrund der sehr soliden Ausbildung an den Architekturschulen sowie der ökonomischen Möglichkeiten – eine herausragende Qualität bei der Baukultur. Die Beispiele aus Österreich wiederum zeigen eine enorme Bandbreite an gestalterischen Experimenten. Das alles ist in Deutschland so nicht der Fall. Hier überwiegen im Zweifelsfall primär ökonomische Überlegungen und ästhetische Angepasstheit. In gewisser Hinsicht entspricht ein Großteil der zeitgenössischen deutschen Architektur exakt dem Bild, das man sich im Ausland von den Deutschen macht. Gerade die Beispiele im vorliegenden Band zeigen jedoch, dass in den letzten Jahren auch hier ein enormes Umdenken stattgefunden hat. Die 100 Einfamilienhäuser zeigen wunderbar, dass die Welt globaler geworden ist. Viele Projekte könnten in dieser Form und Qualität auch in Österreich, der Schweiz oder sonst wo auf der Welt entstanden sein. Um ehrlich zu sein, bin ich überrascht über die große Anzahl der wirklich herausragenden Häuser, die Sie vorstellen.

9. Sie kommen von der Architektur, Kunst zur Galerie – was macht Architektur – oder wie macht man Architektur – interessant?

Die Frage, ob Architektur „interessant“ ist, ist eine des Blickwinkels. Meine Erfahrung ist es, dass „interessant“ oft mit „spektakulär“ verwechselt wird. Das hat natürlich mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun: Aufgrund der immer schnelleren Informationsströme und ihrer globalen Verfügbarkeit müssen egal welche Nachrichten immer noch „neu“ und „sensationell“ sein, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Das Baugeschäft ist aber weder ein schnelles noch ein kurzlebiges. Schon allein deshalb gilt es, darüber nachzudenken. Dass dennoch viel Unreflektiertes, auch in der Szene, passiert, ist auch klar. Oft wird auch einfach nach Bildern gebaut – aus völligem Unverständnis und nach rein modischen Gesichtspunkten. Es kommt jedoch nicht darauf an, jedem Trend hinterherzulaufen, sondern nach eigenen Möglichkeiten zu suchen. Wenn man den Ort, seine Struktur und Geschichte ernst nimmt, die eigenen Bedürfnisse exakt analysiert und den Architekten als reflektierenden Ideengeber und Partner versteht, entsteht automatisch etwas, das interessant ist.

10. Welche Ausstellung hat Sie am meisten inspiriert oder überrascht?

Jede Ausstellung hat ihren eigenen Reiz: Immer wieder finden die Architekten wichtige und interessante Themen und entwerfen eine beeindruckende Inszenierung dafür. Manchmal habe ich den Eindruck, dass jeder Architekt die vorangegangene Ausstellung als Messlatte betrachtet, über die er unbedingt springen muss. Was natürlich wunderbar ist… Um trotzdem ein paar Beispiele zu geben, möchte ich stellvertretend vielleicht folgende nennen, die jeweils grundsätzliche Fragen des Entwerfens beleuchtet haben: Die Münchner Architekten bogevischs buero beispielsweise haben eine den Galerieraum vollständig ausfüllende walk-in-sculpture entworfen. Ihre Geometrie und Farbgebung ermöglichte den Besuchern sehr unterschiedliche Raumwahrnehmungen auf engstem Raum. Holzer Kobler Architekturen aus Zürich wiederum haben mittels großformatiger Fotos ihr Büro nach Berlin transferiert, um den Besuchern einen Eindruck von der Arbeitsatmosphäre in ihrem Atelier zu vermitteln. Und die mexikanische Architektin Tatiana Bilbao hat den Galerieraum in ein Labor der Sinne transformiert. Das Schalungsholz für diese Installation kam direkt von einer ihrer Baustellen. Aber wie gesagt: Ich könnte die Liste noch unendlich weiterführen …