Märkische Oderzeitung
Blick aus der Hamsterperspektive
By Jörg Brause

Review

Ungewöhnlich ist das schon: Stephan Sahm erhielt den Europäischen Architekturfotografie-Preis für seine Aufnahme von knallbunten Hamsterkäfigen. Damit erfüllte der Fotoreporter, der für Magazine wie den Stern arbeitet, mit einem ironischen Blick auf das Thema Neue Heimat die Erwartungen der Preisrichter. Schließlich zeichnet der alle zwei Jahre verliehene Fotopreis neue fotografische Blicke auf die Architektur aus. Sahms Bilder gehören zu den 28 Arbeiten, die eine Jury für eine Ausstellung aus 233 Beiträgen ausgewählt hat. Zurzeit ist die Schau in der Architekturgalerie von Ulrich Müller in Berlin zu sehen.

Sahms Bilder zeigen ein winziges Häuschen mit grünem Spitzdach. Daneben ein blaues Laufrad, das vielleicht einmal dem neuen Bewohner die Langeweile im Käfig vertreibt. Farben, die Fröhlichkeit vorgaukeln. Eine heile Welt aus Kunststoff, die vielleicht manchen Halter der 6,6 Millionen Kleintiere in Deutschland darüber hinwegtäuscht, wie trostlos doch so ein Käfigleben sein kann. Jedenfalls wenn man wie Stephan Sahm mit einer Kamera aus der Perspektive eines Hamsters in die Gitter blickt.

Der Engländer Jacky Longstaff aus Großbritannien und Timothy Griffith aus den USA erhielten zwei gleichwertige Preise. Auch ihre Bilder zeigen keine Häuser. Timothy Griffith nahm sorgfältig ausgestopfte afrikanische Wildtiere auf, die an ihre neue Heimat vor eine atemberaubende Bildkulisse ins Museum einziehen. Jacky Longstaffs Aufnahmen zeigen eine weite grüne Rasenfläche im Norden Englands im Wechsel der Jahreszeiten. Laternen und ein roter Zaun tauchen aus dem Nebel auf. Bilder, die dem Thema “Neue Heimat” vielleicht am nächsten kommen, so wie sie vielen Menschen vertraut sein dürfte von Spaziergängen. Dabei geht es bei Heimat, wie Hans-Michael Koetzle im Katalog schreibt, eigentlich um etwas schwer bis unfotografierbares. Um Hoffnung. Glück oder Wärme und Fremdsein. “Die ausgestellten Arbeiten haben alle eine ungewöhnliche, eine kritische Sicht auf die Architektur”, sagt der Galerist Ulrich Müller.

Anderes Beispiel: Benjamin Gerull blickt in klinisch weiße, reine Räume. Ein gefühlloses Design, wie man es auch aus manchem schicken Bürohaus kennt. Nur die symmetrisch gegliederten Gitter passen da nicht. Tatsächlich entstanden die Bilder im Mutter-Kind-Trakt der Strafvollzugsanstalt Stadelheim. Heimatgefühle mögen auch in Bauwagen-Siedlungen aufkommen, in denen Alternative leben. Johanna Ahlert dokumentierte eine wuselige Welt aus improvisierten Behausungen, wie sie in vielen Großstädten anzutreffen sind.

Für Ulrich Müller gehört ein solcher unkonventioneller Blick auf Architektur zum Konzept seiner Galerie. Grundrisszeichnungen  sucht man in den Ausstellungsräumen in der Karl-Marx-Allee, in den berühmten denkmalgeschützten Bauten aus den 1950er-Jahren, meist vergebens. Vielmehr geht es dem Berliner darum, immer wieder über den Tellerrand zu schauen. Und das gelingt in dieser Präsentation fast immer.