Der erste Impuls: Alles anfassen. All die wundervollen, auf dem langen Tisch aufgereihten Materialien. Mit der Handfläche über den sägerauen Weißtanne-Fußboden aus der Volksschule in Doren streichen. Das Gewicht der Kalksteine abwägen, mit denen der Sockel der Bergkapelle in Andelsbuch aufgeschichtet wurde. Das Knäuel Schafswolle-Dämmung sanft drücken. Die Lehmplatte aus Haus N in Hittisau aufrichten, mit dem Finger dagegen klopfen, ihr diesen dumpfen Klang entlocken. Ja, anfassen möchte man all das – um es dann dorthin zurückzulegen, wo man es weggenommen hat. Unordnung in das Arrangement zu bringen, verbietet sich von selbst; vermutlich nimmt man instinktiv jene „Nähe von Ordnung und Schönheit“ wahr, die Florian Aicher bei den Bauten von Cukrowicz Nachbaur ausgemacht hat und worüber er in der eben erschienenen Monografie der Bregenzer Architekten schreibt.
Das Verlangen des Besuchers, die Dinge in die Hand zu nehmen, ist wohl kalkuliert. Eine „Ausstellung zum Be-greifen“ soll die Präsentation in der Architektur Galerie Berlin sein, sagt Andreas Cukrowicz. Er ist Jahrgang 1969, sein Partner Anton Nachbaur-Sturm Jahrgang 1965; seit 1992 arbeiten sie zusammen, 1996 gründeten sie das gemeinsame Büro. 307 Positionen listet die Werkchronologie, darunter eine enorme Anzahl realisierter Projekte, von Bühnenbildern, über Einfamilienhäuser, Schulen, Feuerwehrhäuser, Kulturzentren bis zum Vorarlberg Museum in Bregenz (Bauwelt 28.2013), das die beiden international bekannt machte.
Architekten in Vorarlberg reden nicht lange über das, was sein könnte – sie bauen! Auf einem beneidenswerten Niveau, über das viel geschrieben wurde. In der Ausstellung kann man diese besondere Qualität förmlich erspüren. Acht Bauten sind jeweils in Form einer Mappe mit Plänen, einem Text der Architekten und Fotos präsent. Die Mappen liegen auf dem langen Tisch, davor ein Stuhl, darüber eine Leselampe und rundherum, den Projekten zugeordnet, die erwähnten Material-Proben.
Das alles in überaus konzentrierter Atmosphäre: Cukrowicz Nachbaur haben Schaufenster und Eingangstür der Galerie mit einer transluzenten Folie verschlossen, die übrigen Wände mit einem raumhohen, anthrazitfarbenen Vorhang verhüllt – und dergestalt an der geschäftigen Karl-Marx-Allee eine wahrhaftige Heterotopie geschaffen, einen abgeschieden anmutenden Ort, an dem man sich ganz ungestört in ihre Architektur vertiefen kann. Wäre nicht der Straßenlärm im Hintergrund, wenn auch gedämpft, zu hören, man wähnte sich in der Bibliothek eines Kulturzentrums mitten im Bregenzerwald. Der Ausstellungsbesuch: ein Pflichttermin für alle, die im allerbesten Sinn handgemachte Architektur schätzen – nicht nur für Materialfetischisten.