Auf der einen Seite: Gräserhügel und Feldwege, Nebeldunst trotz Sonne. Auf der anderen: Lebenstraum und Realität, Askese und Phantasie. Auch wenn Architektur ohne Geschichten verständlich sein sollte: Das Ausblenden dieser Umstände würde einen Beschreibungsversuch des Werkhauses höchst unvollständig lassen. Bereits der Weg zum Bauplatz ist nicht nur schlicht ein räumlicher, sondern ein atmosphärischer. Und er offenbart Wesentliches über den Bauherrn, einen auch an den eigenen Ansprüchen feilenden Tischler und Möbelentwerfer. Denn naturnahe Abgeschiedenheit bedeutet zugleich Verzicht auf die schnellen Annehmlichkeiten städtischer Infrastruktur. Aber auch für den Architekten ist ein derartiges Projekt nur mit sehr hohem Aufwand realisierbar. Für Thomas Kröger ist es jedoch nicht das erste Projekt in der nördlich von Berlin gelegenen Uckermark – dem neuen Sehnsuchtsort zumeist gut betuchter Berliner. Bereits sein 2010 fertiggestelltes, archetypisch anmutendes Einfamilienhaus im nahe gelegenen Pinnow sorgte für große Aufmerksamkeit.
Beim Werkhaus Schütze nun – je nach Sichtweise Wohnhaus mit angeschlossener Werkstatt beziehungsweise umgekehrt auf dem Bauplatz einer alten DDR-Schlosserei – ist ihm jedoch ein Projekt gelungen, das in seiner Eigenart nur schwer zu übertreffen ist. Seine Besonderheit beruht darauf, dass Kröger den Entwurf scheinbar aus dem Landschaftsbild generiert, das sanften Wellen gleich an den Bauplatz heran rollt. Der entwerferische Transformationsprozess gelingt vor allem durch die Wand und Dach gleichermaßen bedeckende Metallhaut, ihre Staffelung, Farbe und Ausprägung im Detail. Sie bedeckt die drei aneinandergereihten, unterschiedlich hohen und langen Baukörper – eine bestehende Werkhalle, einen zum Wohnbereich umgebauten Mittelteil sowie eine hinzugefügte Gästewohnung – wie ein sorgfältig ausgebreitetes Tuch. Die Struktur des grün eingefärbten Wellbleches wirkt dabei wie ein feines Faltenwerk und lässt eine sanfte Großfigur entstehen. Ihr industrieller Charakter wird an den Stirnseiten durch die raue Stulpschalung aus baumstarken Schalbrettern ergänzt, die zugleich eine Reminiszenz an alte ortstypische Bautechniken ist. Das perfekt einheitliche Bild dieses zeitgenössischen Nurdachhauses entsteht jedoch durch die abgerundeten Formteile am Übergang zwischen Dach und Wand. Erst dieses Fehlen einer klassischen Traufe verleiht dem Bau die konsequente Körperhaftigkeit und Abstraktion. Auch die notwendigen Fenster der Nebenräume und die Tore in der Produktionshalle folgen diesem Diktat: Anstelle von Öffnungen ist das Wellblech hier fein perforiert die dadurch entstehende Schattierung lässt das Dahinter allenfalls erahnen. Diese Maßnahme hat zwar zur Folge, dass der Blick aus den dahinterliegenden Fenstern in die Umgebung „gefiltert“ ist – aber auch in der Uckermark gibt es Nachbarn, die man nicht immer im Blick haben möchte. Lediglich das über die gesamte Raumbreite spannende Fensterband des Wohnraumes im Süden und der gedeckte Eingangsbereich auf der Nordseite sind offen und rhythmisieren die Fassade. Sie zeigen ebenso wie das Panoramafenster der Gästewohnung im Westgiebel an, welche Ausblicke wirklich wichtig sind. Im Bereich der Werkstatt lässt sich die Fassade vor den drei großen Werktoren zudem öffnen, so dass der Bauherr bei gutem Wetter im „gefühlten Freien“ arbeiten kann. In der Dunkelheit wiederum strahlen die perforierten Flächen ein geheimnisvolles Licht aus und geben dem geschlossenen Baukörper einen neuen Rhythmus.
Im Inneren setzt sich der industrielle Habitusdurch den schwarzen Gussasphaltboden fort. Nur in den privaten Räumen im Obergeschoss erzeugt der Holzdielenboden eine warme Atmosphäre. Der zentrale, hallenartige Raum mit den vom Bauherrn selbst angefertigten Dachbindern ist eine Synthese aus Denkraum und Werkstatt. Seine Decke steigt von der Fassade zum zweigeschossigen Privatbereich an und führt das Motiv der gewellten Landschaft innen fort. Eine überraschende Ergänzung ist der höhlenartige Duschraum an der inneren Längswand, den Thomas Kröger nach Anregungen des Bauherrn entworfen hat. Von hier aus hat man quer durch den Raum hindurch freien Blick auf die Landschaft – und umgekehrt. Dass sämtliche Einbauten vom Bauherrn präzise und ohne Furnier gebaut wurden, versteht sich von selbst.
Mit seiner grünen Wellblechhaut könnte das Werkhaus Schütze von der Ferne ebenso ein modernes landwirtschaftliches Nutzgebäude sein wie ein Überbleibsel ehemaliger militärischer Einrichtungen. Unabhängig davon, ob solche Bilder beabsichtigt waren oder nicht: Ein derartig exakt im Kontext verhaftetes und gleichzeitig phenomenal unspektakulär darüber hinausreichendes Projekt sieht man in unserer bildgesättigten, auf Effekte getrimmten Welt leider viel zu selten.