Zur Finissage der Ausstellung Architektur + Fotografie II veranstaltete die Architektur Galerie Berlin eine Podiumsdiskussion mit dem Architekturfotografen Jan Bitter, dem Architekten Jens Ludloff (Ludloff + Ludloff, Berlin) und dem Bauwelt-Redakteur Nils Ballhausen. Die Frage „Wie funktioniert Architekturfotografie?“ beleuchtete das Zusammenspiel zwischen Planer, Fotograf und Medien – ein Auszug.
Nils Ballhausen: Jens Ludloff, was erwartet ein Architekt von einem Architekturfotografen? Anders gefragt: Wie entscheiden Sie, welchen Fotografen Sie für ein bestimmtes Haus beauftragen?
Jens Ludloff: Wir überlegen zunächst, welcher Fotograf zu dem Haus passen könnte. Als wir neulich ein Projekt fertig gestellt hatten, das nur etwas größer als eine große Küche war, dachten wir uns: Wir brauchen jemanden, der normalerweise Küchenstudios für Hochglanzmagazine fotografiert. Das ist ein interessantes Bild geworden. Besonders schön ist es natürlich, wenn man es sich leisten kann, eine Arbeit von mehreren Fotografen fotografieren zu lassen. Denn im Grunde wollen wir von den Bildern überrascht werden, neuen Gesichtern des Hauses begegnen, das wir in- und auswendig zu kennen glauben. Das funktioniert erstaunlicherweise recht häufig, obwohl man dachte, man hätte alles bis in den letzten Winkel durchdrungen.
Unter den Bildern von Jan Bitter, die hier in der Ausstellung gezeigt werden, sind viele, die von den Architekten aussortiert wurden, weil sie deren Erwartungen nicht erfüllten.
JL: Wir kalkulieren etwa so: 18 bis 20 Bilder müssen wir an Redaktionen usw. weitergeben können. Beim Fotografieren entstehen natürlich viel mehr Bilder, die uns der Fotograf als Vorabzug gibt – ungefähr drei Mal so viele. Und das sind ja nur die, die er uns zeigen möchte …
Sie, Jan Bitter, sind seit über zehn Jahren im Geschäft. Sie müssen inzwischen auf einem Riesenfundus aussortierter Fotos sitzen.
Jan Bitter: Der wächst mit den Jahren. Als ich mit der Architekturfotografie begann, haben die Architekten zum Beispiel alles sofort aussortiert, was keinen blauen Himmel hatte. Das hat sich im Laufe der Zeit verändert.
JL: Ich denke, das ist auch eine Generationsfrage. Für uns war blauer Himmel immer gleichbedeutend mit Investorenhimmel. Der galt als unschicklich; heute sind wir da nicht mehr so streng.
Gibt es solche allgemeinen Tendenzen? Gewisse Architekten wollen ihre Werke gerne in einen Zusammenhang gestellt sehen, in einen städtischen oder einen landschaftlichen. Ein Gebäude solitär zu betrachten, losgelöst von seiner Umgebung, das ist wohl eher unüblich geworden.
JB: Das ist ganz unterschiedlich. Ich arbeite mehr oder weniger regelmäßig für zehn oder fünfzehn Architekten. Jeder hat seine eigene Vorstellung, die habe ich im Laufe der Zeit kennengelernt. Und die beachte ich beim Fotografieren.
JL: Wir erwarten im Prinzip zweierlei: Zum einen die Bilder, die uns überraschen, die möchten wir für uns haben. Aber wir brauchen die Bilder ja auch für Veröffentlichungen – und die sollen die Geschichte erzählen, die wir für das Haus erfunden haben. Das ist ein bisschen widersprüchlich und verlangt vom Fotografen vermutlich einen ziemlichen Spagat.
Sie bekommen Rückmeldungen von den Zeitschriften. Wie sehen die Redaktionen Ihr Gebäude, welche Bilder wählen sie aus? Gibt es da Diskrepanzen zur eigenen Sichtweise?
JL: Neben wirklichen Überraschungen, die wir erleben, sind wir oft auch enttäuscht – enttäuscht in dem Sinn, dass das statische Bild nicht transportiert, wie das Raumerleben tatsächlich stattfindet. Letztendlich kommen beim Betrachten eines Bildes einige Sinne immer zu kurz.
Wenn Sie die Zeitschrift aufschlagen, die Ihre Fotos verwendet hat, denken Sie dann manchmal: Um Gottes willen, warum haben die ausgerechnet dieses Bild genommen?
JB: Das weiß ich meistens schon vorher, wenn die Redaktion bei mir anruft und die Bilder bestellt. Ich denke mir: Die wollen etwas Bestimmtes erzählen, das sie im Kopf haben. Manchmal finde ich das schon ärgerlich.
Wie kommt es, dass man ein Gebäude so unterschiedlich sehen kann?
JB: Ich habe mit Architektur im Grunde ja nichts am Hut. Ich fotografiere zwar Architektur, aber ich habe nicht Architektur studiert. Salopp gesagt: Ich mache Bilder, und da ist auch Architektur drauf. Sicher, es ist ein Auftrag, es gibt Erwartungshaltungen der Architekten und der Magazine; es muss übermorgen an eine Zeitung geschickt werden, eigentlich schon gestern. Da verblasst gelegentlich die hehre Absicht, das Bild zu machen.
Welche künstlerische Freiheit bleibt denn in diesem Verwertungsdreieck zwischen Fotograf, Architekt und Medien?
JB: Also, künstlerisch ist Architekturfotografie meiner Ansicht nach überhaupt nicht!
JL: Kunsthandwerk?
JB: Ja, eher das. Und es ist ein Auftrag, also das Gegenteil einer freien Arbeit. Man muss dabei so viele Dinge beachten, die man nicht machen darf. Das kann man nicht Kunst nennen.
JL: Eine Dokumentation?
JB: Ja. Und die versuche ich so spannend wie möglich zu machen. Aber es bleibt eine Dokumentation.
Was hat sich verändert, seit Sie digital fotografieren?
JB: Was meiner Arbeitsweise zugute kommt: Ich bin schneller, habe weniger Gepäck und viel mehr Zeit für Experimente. Ich kann drei oder mehr Versionen eines Fotos machen, was früher umständlich war – und teuer. Natürlich bringe ich jetzt noch mehr Bilder mit nach Hause. Aber ich könnte ohnehin nicht irgendwo hinfahren, einen ganzen Tag an einem Motiv herumhantieren, bis ich denke: Wow, das ist es jetzt! Ich brauche diesen ganzen Berg an Fotos, aus denen ich die besten aussuche.
Früher, also vor gut einem Jahrzehnt, haben wir meist einen Umschlag mit acht bis zwölf Ektachromen, Großbild-Dias, in die Redaktion geschickt bekommen. Diese enge Auswahl nahmen die Architekten vor. Heute bekommen wir eine DVD mit Dutzenden von Bildern – was die redaktionelle Auswahl nicht unbedingt einfacher macht. Für das Internet spielt das Auswählen fast keine Rolle mehr, da sind schnell 35 Fotos online gestellt, was den Nutzern suggeriert, sie könnten sich dadurch selbst einen Eindruck vom Gebäude verschaffen. Wirkt sich dieses Delegieren der Auswahl darauf aus, wie gebauter Raum wahrgenommen wird?
JL: Je mehr Bilder und, nicht zu vergessen, Filme zur Verfügung stehen, desto wichtiger ist bei einem Printmedium, dass das Bild „selbständig“ wird: Das Bild muss eine Eigenständigkeit erlangen. Aber wie reagieren wir Architekten auf die veränderte Wahrnehmung? Verändert sich mit dem Bild auch das Original, das gebaute Werk? Eine Frage, die sich stellt, seit es Fotografie gibt. Ich denke, da tut sich zurzeit einiges. Die gegenwärtige Studentengeneration hat zum Beispiel ein riesengroßes Bilderwissen. Andererseits waren die meisten von ihnen niemals an diesen Orten. Unser Bilderwissen wird täglich größer, aber das „Anwesenheitswissen“ immer kleiner.
Mit welchen Folgen?
JL: Wenn die Bildkompetenz weiter wächst, werden wir vielleicht bald Häuser haben, die gebaute Bilder sind. Eigentlich ein interessantes Phänomen – und nicht unbedingt ein Widerspruch: Wir entwerfen von jeher mithilfe von Bildern. Jede Zeichnung ist zweidimensional, ob sie als Handskizze oder im Computer entsteht. Wir starten mit einem Bild beim Entwerfen und verwandeln das Bild in einen dreidimensionalen Raum. Der wird – vielleicht – gebaut, und dann kommt der Fotograf und macht daraus wieder ein zweidimensionales Bild. Das ist der ganz normale Vorgang. Die Frage ist: Verändert sich der Raum, wenn wir unsere Raumkenntnis überwiegend aus Bilderwissen beziehen?
Wird der Raum zu einer Oberfläche?
JL: Vielleicht eine Oberfläche, in die man hineingehen kann. Ich sehe das durchaus als Quelle, aber keinesfalls unkritisch. Wenn man sich etwa Land-Art-Projekte von James Turrell anschaut: Die sind zuerst einmal wie ein Bild, in das man eintauchen kann. Es funktioniert in beiden Dimensionen, zwei- wie dreidimensional, setzt aber die Kenntnis einer dreidimensionalen Wirkungswelt voraus. Das bedeutet, dass es intellektuell keinesfalls weniger komplex ist.