Seit 2014 hat Oda Pälmke, Professorin an der TU Kaiserslautern, mit Studierenden die Heftreihe „Repertoire 1-6“ erarbeitet. Die Sammlung architektonischer Referenzen wird ab heute Abend im SATELLIT der Architektur Galerie Berlin ausgestellt. Ein Gespräch über die Entstehung der Hefte und bemerkenswerte Böden.
Frau Pälmke, was meinen Sie mit Repertoire?
Das Repertoire beschreibt eine Sammlung bemerkenswerter Dinge, die sie oder er gesehen hat und erinnert, also abrufbar archiviert hat. Ein großes Repertoire erlaubt Künstlern sich über jede neue Aufgabe zu freuen, ganz gelassen ein Stück aus dem Repertoire zu zeigen oder sogar virtuos zu improvisieren. Das Repertoire eines Architekten oder einer Architektin ist vielleicht sogar unendlich erweiterbar. Die Heftreihe „Repertoire 1-6“ ist keine Enzyklopädie mit Anspruch auf Vollständigkeit, sondern eine offene Reihe. Sie behandelt Themen des Entwurfsrepertoires und kommt aus meiner Raumgestaltlehre an der TU Kaiserslautern. Ein Vorbild ist Stephen Holls „Pamphlet Architecture“. Er hat während seiner Lehrtätigkeit zu verschiedensten Themen geforscht. Später hat er die Reihe auch für andere geöffnet und sie eingeladen, ihre Themen zu veröffentlichen.
Wie lief die Zusammenarbeit mit den Studierenden?
Die Beiträge sind über drei Jahre mit Studierenden aus dem fünften und sechsten Semester entstanden. Wir haben sie mehrfach überarbeitet und in einen neuen Zusammenhang gestellt, sozusagen kuratiert. Die Seminare beinhalteten die phänomenologische Betrachtung von Böden, Decken, Fenstern, Treppen oder Mobiliar – also Elementen der gebauten Umwelt. Daraus haben wir ausgewählt. Die Titel der jeweiligen Hefte – Gestalt, Struktur, Standard, Ausstattung, Übergang, Situation – spiegeln aber keine Lehrveranstaltungen wider.
Die Hefte versammeln größtenteils banale Situationen, die als Zeichnungen auf einmal wunderschön wirken. Was lernen die Studierenden, wenn sie zum Beispiel die Toiletten an der Uni oder das Badezimmer ihrer Oma aufzeichnen?
Die Tabula rasa-Zeiten in der Architektur sind vorbei, wir arbeiten immer im Kontext. Um das machen zu können, müssen die Studierenden erstmal ein gewisses Repertoire für ihre Entwurfsarbeit bekommen. Deshalb untersuchen wir ausgewählte raumbildende Elemente phänomenologisch. Wir analysieren bewusst nicht Architektur, sondern Gebautes. Die Aufgaben sind dann zum Beispiel „Erkennen und zeichnen Sie einen bemerkenswerten Boden“. Wir lösen die Elemente so aus ihrem Kontext heraus und transportieren sie in den Kontext unserer Untersuchungen. Das ist jedesmal wie Zauberei: Welch bedeutsame Linien da in den gezeichneten Bildern erscheinen! In dem Moment, wo Bestehendes präzise und liebevoll angeschaut wird, muss viel weniger neu erfunden werden.
Was ist das Aufregende an einer Fuge im Boden?
An einer Linie im Boden kann man – bildlich gesprochen – den Grundriss eines Hauses erklären, wenn man sie gewissenhaft verfolgt. Die Studierenden haben in Frankfurt das Deutsche Architekturmuseum DAM, das Museum für Moderne Kunst MMK und das Museum für Angewandte Kunst MAK untersucht und festgestellt, dass sich die architektonischen Konzeptionen anhand der Bodenfugen erkennen lassen. Oswald Mathias Ungers plante symmetrisch und mit dem eigenschaftslosen quadratischen Maßregler, Richard Meier drehte seinen Entwurf um dreieinhalb Grad und bei Hans Hollein hat jeder Raum und dadurch auch jede Steinplatte im Boden eine spezifische Gestalt.
Wie entstand die Idee zu „Repertoire“?
Seit meinem zweiten Buch „Ganz Gut/quite good houses“ aus dem Jahr 2011 hatte ich den Plan, das „Ungezeichnete zu zeichnen“, um die Regeln und Ausnahmen eigenartiger Situationen und Basteleien zu erforschen. Die Zeichnungen zeigen das Gegenteil dessen, was man sieht, denn sie stellen auf präzise Art und Weise etwas dar, das nicht präzise gedacht wurde. Die Präzision des Zufalls sozusagen. Zeichnungen sind ein guter Weg der Qualitätsüberprüfung. Wenn man eine Zeichnung für sich selber betrachtet, kann man herausfinden ob etwas wirklich interessant ist. Viele Zeichnungen überleben diesen Prozess auch nicht.
Zum Thema:
„Repertoire 1-6“ besteht aus sechs Paperbacks mit je 80 Seiten und einem Poster: „Gestalt Häuser“, „Struktur Oberflächen“, „Standard Badezimmmer“, „Ausstattung Mobiliar“, „Übergang Treppen“ und „Situation Konstellationen“. Das komplette Set kostet 65 Euro, das Einzelexemplar 12 Euro. Die Publikation ist bei About Books (Zürich/Berlin) erschienen und kann direkt dort bestellt werden.
Zur Eröffnung der Ausstellung im Satellit der Architektur Galerie Berlin in der Karl-Marx-Allee 98 heute Abend um 19 Uhr sprechen Heike Hanada und Johannes Modersohn, Christopher Dell spielt auf dem Vibraphon. Die Ausstellung läuft bis 5. Januar 2019.