Dr. Susanne Hauser / Adrien Verscheure Gespräch zur Ausstellung “BAUKUNST – Incomplete Works”

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Ausgangspunkt für die Ausstellung Incomplete Works ist die Frage, ob wir uns Gebäude immer als etwas zu Vollendendes vorstellen müssen. Oder ist es möglich, sie nicht nur als ausschließlich statische Objekte zu betrachten, sondern als permanente Baustellen, ständig unvollendet und im Werden? Bruno Latour zufolge besteht „das Problem darin, dass […] wir uns ein Gebäude immer als eine feste, starre Struktur vorstellen“. Architektur, immer mit der vermeintlichen Verpflichtung zu Dauerhaftigkeit belastet, sucht in Zeiten beschleunigter Instabilität, wie wir sie gerade erleben, allzu oft Zuflucht in simplen Konzepten wie Dauerhaftigkeit, Flüchtigkeit oder Flexibilität. In der Definition von BAUKUNST sind Incomplete Works dagegen jene soliden, schwerfälligen Objekte, die Gebäude unvermeidlich sind, gleichzeitig jedoch offen für geplante und ungeplante Veränderungen.

In ihrer Ausstellung untersuchen sie zwei aktuelle Projekte mit sehr unterschiedlichem Programm, Kontext und Ambitionen auf ihr Potenzial, Themen wie Nutzungsabfolgen, Alterung, Erinnerung und Vergessen sowie re-use und pre-use zu verhandeln. Das erste Projekt ist die Neugestaltung der Restflächen von La Defense: Versunkene Betoninseln, eingeklemmt zwischen unterirdischen Autobahnen und Bahngleisen. Das zweite ist eine Müllverbrennungsanlage am Stadtrand von Zürich, deren Maschinenpark ständigen Veränderungen unterworfen ist und die trotzdem für die Spanne eines Jahrhunderts geplant werden muss. Beide Projekte bewegen sich zwischen einer Vielzahl von Zeitebenen, die sie gleichzeitig produzieren und verbrauchen. Die Ausstellung versucht die etablierte Gewohnheit, Raum ohne Zeit zu denken, zu überwinden und erforscht so die Konstruktion der Konstruktion.

Die Szenographie übersetzt dieses Thema durch eine Installation aus Baustellenelementen wie Schaltafeln und Bauleuchten, die den Galerieraum neu strukturieren. Anhand von zwei Modellen und einem Videoessay werden die beiden Projekte gegenüber gestellt und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin untersucht. Visualisierungen, Pläne, Collagen, Referenzen, Zitate und Beschreibungen verdeutlichen dabei die Beziehungen zwischen der Konzeption eines Projektes und seiner Beziehung zur Zeit.

BAUKUNST wurde 2010 von Adrien Verschuere in Brüssel gegründet. In ihrer Arbeit kombinieren sie Kunst und Technologie und suchen den Dialog mit verschiedenen Wissensformen. Sie verstehen Architektur als Medium sowohl des Nachdenkens über Bauen als auch des Bauens von Gedanken. Zu ihren wichtigsten Projekten gehören das polyvalente Sportzentrum La Fraineuse (Spa, 2017), die Büros und Fernsehstudios Frame (Brüssel, seit 2018) und die Neugestaltung der Restflächen von La Defense (Paris, seit 2019).
Die Arbeit von BAUKUNST wurde in Einzelausstellungen im Bozar, Brüssel (2019), in der Solo Galerie, Paris (2020) und auf der Architekturtriennale, Lissabon (2022) gezeigt. Seit 2019 ist Adrien Verschuere Gastprofessor an der EPF Lausanne.

Incomplete Works ist Teil einer Serie, die aus der Ausstellung Performance & Performativity im Bozar Centre for Fine Arts Brüssel entstanden ist  und als Baukunst in der Solo Galerie (Paris) sowie als Tendency & Fact im Carpintarias de São Lázaro (Lissabon) gezeigt wurde. Sie ist eine Initiative von WBA Wallonia Brussels Architectures in Zusammenarbeit mit der Architekturabteilung der Wallonia-Brüssel Föderation (Koproduktion A+ Architecture in Belgien und Bozar Centre for Fine Arts Brüssels, Koordination: Architecture Curating Practice).